Wieland Hecht: Wie werde ich Kurator in einem Musikinstrumentenmuseum?

Wieland Hecht, Sammlungs­kon­ser­va­tor am Musik­in­stru­men­ten­mu­se­um der Univer­si­tät Leipzig im Grassi-Museum Leipzig

Dort entstehen auch weitere Fragen:

  • Warum gibt es die Mandoline von Niccolò Paganini nicht mehr?
  • Wo ist Johann Sebastian Bach wirklich begraben?
Das Musik­in­stru­men­ten­mu­se­um in Leipzig
Doppel­man­do­li­ne von Luigi Amici, Rom Anfang 19.Jh. Verei­ni­gung einer Mailänder und einer Neapo­li­ta­ni­schen Mandoline in einem gemein­sa­men Schallkörper

Herr Hecht, wie wird man ein Kurator, was ja wohl so viel heißt, wie ein „Sorgender“?

 Es ist eine sehr besondere Art von Beruf. Ich selbst habe eine musika­li­sche Ausbil­dung damals an der Spezi­al­schu­le für Musik in Halle absol­viert und anschlie­ßend an der Hochschu­le in Leipzig Oboe studiert. Leider konnte ich aber aus gesund­heit­li­chen Gründen meinen Berufs­wunsch (Musiker) nicht ausführen. Ehe ich mein Studium beenden konnte, musste ich aufhören.  Kurz danach haben sich für mich andere Wege ergeben und …nun bin ich seit über 30 Jahren am Museum und bin sehr glücklich. Bis zum heutigen Tag macht mir mein Beruf viel Freude. Dies sage ich, weil ich einer­seits traurig war, als ich mein Studium abbrechen musste, aber anderer­seits war es auch ein Glückfall. Am Museum hat man hat mich mit offenen Armen empfangen. Zur Quali­fi­zie­rung meiner eigent­li­chen Tätigkeit besuchte ich noch parallel ein Fernstu­di­um für Museo­lo­gen. Die Stellen­be­zeich­nung am Museum heißt „Sammlungs­kon­ser­va­tor“. Ich sehe mich als Bewahrer aller Objekte, schaue mir die Instru­men­te an und versuche dabei möglichst optimale Bedin­gun­gen zu schaffen, damit sie keinen Schaden nehmen. Geht es ihnen nicht gut, dann besuchen wir den Restau­ra­tor. Das wäre dann aber eine andere Geschich­te, welche die Restau­ra­to­ren zu erzählen haben…

Also einmal streicheln…?

Ja. In meiner Arbeit kümmere ich mich auch um Vor- und Nachbe­rei­tun­gen für Ausstel­lun­gen im eigenen Museum oder um mögliche Leihgaben. Für eine gute Unter­brin­gung unseres Instrumentenbestands,wie natürlich auch der beglei­ten­den Objekte — ob Bildlein­wand oder histo­ri­sches Geigen­pult — sind möglichst gleich­blei­ben­de „Klima­wer­te“ eine Voraus­set­zung. Plötz­li­che Änderun­gen könnten schon einen Schaden in der Betrach­tung oder auch im Klang zur Folge haben. Das versuche ich im Blick zu behalten.

Sie sprechen wie von Haustie­ren 😊…

Es geht nicht spurlos an einem vorbei, wenn man mit diesen Dingen so viele Jahre zusammen ist. Ich mag auch das Haptische, die Verbin­dung zu den Instru­men­ten. Ich merke es, wenn ich sie in die Hand nehme und das Gewicht spüre. Das macht mir viel Freude!

Sie haben eine sehr liebe­vol­le Sprache.

Danke, ich sehe meine Aufgabe als Sammlungs­kon­ser­va­tor, als Bewahrer im besten Sinne mit den derzei­ti­gen Möglich­kei­ten, die wir in unserem Haus haben.

Das Grassi Museum steht ja auf äußerst geschichts­träch­ti­gem Boden. Sie arbeiten an einem roman­ti­schen Ort!

Es steht auf dem alten Johan­nis­fried­hof, auf welchem Johann Sebastian Bach ursprüng­lich begraben wurde. Der Museums­bau wurde im Art-déco-Stil zwischen 1925 und 1929 errichtet. Mit seinen Innen­hö­fen ist er zugleich einen Ort der Ruhe und Entspan­nung. Seinen Namen verdankt das Haus dem Kaufmann und Mäzen Franz Dominic Grassi. Von Anfang an befinden sich in diesem Komplex die Angewand­ten Kunst, Völker­kund­li­che Sammlung und das Musik­in­stru­men­ten­mu­se­um der Univer­si­tät Leipzig.

https://www.leipzig-lese.de/persoenlichkeiten/b/bach-johann-sebastian/der-todestag-und-das-grab-von-johann-sebastian-bach/

https://jsbach.de/bachorte/johannisfriedhof

Im Rasen vor dem Grassi-Museum ein markiert ein Rechteck die Umrisse der ehema­li­gen Bach-Gellert-Gruft und ein Kreis die Position des ehema­li­gen Bach-Grabes. An der steiner­nen Einfas­sung hat die Stadt Leipzig 2016 gegossene Bronze­plat­ten mit Infor­ma­tio­nen zur Geschich­te von Johan­nis­kir­che und Spital, des Friedhofs sowie der Grabstät­ten Bachs und Gellerts anbringen lassen.

Sie haben ja außer Mando­li­nen auch noch viele andere Instrumente.

Der Rundgang unserer Ausstel­lung ist anhand einer zeitli­chen Schiene und damit verbun­de­nen Ereig­nis­sen gekoppelt, so können die Besucher in einem Raum viel über den italie­ni­schen Erfinder des Hammer­kla­viers Barto­lo­meo Cristo­fo­ri erfahren und ein recht umfang­rei­ches Oeuvre seiner Instru­men­te sehen.

Oder: ein fast 1:1 aufge­bau­ter Werkstatt­raum von Richard Jacob, genannt „Weißger­ber“. In der Vitrine nebenan freut sich so mancher Spieler über die Vielzahl der ausge­stell­ten Instru­men­te. Auch wenn sie schon vom Augen­schein her sehr wirksam sind, können wir leider bisher nichts von ihrer Leich­tig­keit vermit­teln. Schon ein Traum!

In unserer Studi­en­samm­lung zeigen wir Instru­men­te, sehr eng „gepackt“ bezie­hungs­wei­se „geparkt“, haupt­säch­lich für Studi­en­zwe­cke. Auch das ist der Sinn einer univer­si­tä­ren Sammlung: Instru­men­ten­ty­pen in der Entwick­lung. Diese Sammlung ist aber leider zurzeit nicht frei zugänglich.

Was aber wieder kommen soll, ist unser Klang­la­bor. Dort können unsere Museums­gäs­te selbst auf Musik­in­stru­men­te wie in einem Labor experi­men­tell musizieren.

Die komplette Werkstatt des Gitar­ren­bau­ers Richard Jacob Weißgerber

Nun steigt die Neugier auf Ihre Mando­li­nen ins Unermess­li­che! Dürfen wir einige anschauen?

Wir haben etwa 60 Mando­li­nen! Ihre Leser können die meisten davon auf der Datenbank MIMO im Internet anschauen. Ich zeige Ihnen eine Auswahl, sozusagen kleine Schätze: Eine unsignier­te Piccolo-Mandoline, eine originale Mandoline von Luigi Embergher und eine Lyraman­do­li­ne von Raffaele Calace. 

Unsignier­te Piccolo-Mandoline aus dem 20. Jahrhundert

         Unsignier­te Piccolo-Mandoline aus dem 20. Jahrhun­dert, © Wieland Hecht

Manchmal müssen Sie sich ja auch mit der Identi­fi­zie­rung von recht merkwür­di­gen Instru­men­ten befassen. Ob dies wohl eine Mandoline ist?

Es ist eine Stössel-Laute, eine Konstruk­ti­on, welche Volks­lie­der auf einfache Art begleit­bar machen sollte. Also leider keine richtige Mandoline!

© www.studia-instrumentorum.de/MUSEUM/zith_stoessel.htm

Stössel-Lauten-Klasse in Steyr/Österreich, Aufnahme um 1930. Das Foto wurde in der Dezem­ber­aus­ga­be 1992 des Amtsblat­tes der Stadt Steyr veröf­fent­licht, woraufhin sich noch sechs der abgebil­de­ten Spiele­rin­nen meldeten, eine davon besitzt noch heute ihr Instru­ment und die Noten. (Nach Mittei­lung von Rudolf Pietsch, Wien)

Stössel Werkstatt   © www.studia-instrumentorum.de/MUSEUM/zith_stoessel.htm

Mich bewegt noch die Frage nach der Geschich­te der Mandoline von Niccolò Paganini. Er hat ja neben seinem Haupt­in­stru­ment, der Violine, auch Mandoline gespielt.

Instru­men­te Paganinis

Origi­nal­fo­to der Instru­men­te Paganinis

Carlo Aonzo, Mando­li­nist aus Genua, der sich besonders Paganinis Kompo­si­tio­nen und der Nachver­fol­gung seiner Instru­men­te annimmt, schreibt in seinem Aufsatz in PLECTRUM 1/94, dass die Mandoline 1898 auf der Ausstel­lung Esposi­zio­ne Gernerale Italiana di Torino 1898 ausge­stellt worden sei. In dem Aufsatz IL MANDOLINO GENOVESE bemerkt er, dass 1925 sich die Spuren verlieren auf dem Transport von Köln nach Leipzig. Kann man sie hier finden?

Leider nein. Es ist eine traurige Geschich­te. Wir haben aber gut dokumen­tier­te Angaben, dass die Mandoline in Leipzig angekom­men ist.

Paganinis Mandoline,

Paganinis Mandoline, wie sie in den Akten des Museums dokumen­tiert ist

In den Kriegs­jah­ren ab 1943 wurde sie zusammen mit anderen Instru­men­ten sorgfäl­tig in Trans­port­be­hält­nis­se verpackt und in der Umgebung ausge­la­gert, um sie möglichen Schäden des Krieges zu bewahren. Leider haben die Wirren danach, selbst dort in manchen Lager­or­ten, unwie­der­bring­li­che Verluste und Schäden verur­sacht, sodass auch diese (berühmte) Mandoline nicht wieder in unsere Sammlung zurück­keh­ren konnte. Ein s/w‑Foto aus der kurzen Leipziger Zeit, als letzter Zeuge ihrer Existenz. Sie ist nun wie ihre Musik, im nächsten Augen­blick nur noch Erinnerung!

Vielen herzli­chen Dank, lieber Herr Hecht, für Ihre Schil­de­run­gen! Ich möchte jetzt auch Kurator werden – ein so vielfäl­ti­ger Beruf!

Beitrag teilen:
WhatsApp
Facebook
Twitter
Email