Wieland Hecht, Sammlungskonservator am Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig im Grassi-Museum Leipzig
Dort entstehen auch weitere Fragen:
- Warum gibt es die Mandoline von Niccolò Paganini nicht mehr?
- Wo ist Johann Sebastian Bach wirklich begraben?
Herr Hecht, wie wird man ein Kurator, was ja wohl so viel heißt, wie ein „Sorgender“?
Es ist eine sehr besondere Art von Beruf. Ich selbst habe eine musikalische Ausbildung damals an der Spezialschule für Musik in Halle absolviert und anschließend an der Hochschule in Leipzig Oboe studiert. Leider konnte ich aber aus gesundheitlichen Gründen meinen Berufswunsch (Musiker) nicht ausführen. Ehe ich mein Studium beenden konnte, musste ich aufhören. Kurz danach haben sich für mich andere Wege ergeben und …nun bin ich seit über 30 Jahren am Museum und bin sehr glücklich. Bis zum heutigen Tag macht mir mein Beruf viel Freude. Dies sage ich, weil ich einerseits traurig war, als ich mein Studium abbrechen musste, aber andererseits war es auch ein Glückfall. Am Museum hat man hat mich mit offenen Armen empfangen. Zur Qualifizierung meiner eigentlichen Tätigkeit besuchte ich noch parallel ein Fernstudium für Museologen. Die Stellenbezeichnung am Museum heißt „Sammlungskonservator“. Ich sehe mich als Bewahrer aller Objekte, schaue mir die Instrumente an und versuche dabei möglichst optimale Bedingungen zu schaffen, damit sie keinen Schaden nehmen. Geht es ihnen nicht gut, dann besuchen wir den Restaurator. Das wäre dann aber eine andere Geschichte, welche die Restauratoren zu erzählen haben…
Also einmal streicheln…?
Ja. In meiner Arbeit kümmere ich mich auch um Vor- und Nachbereitungen für Ausstellungen im eigenen Museum oder um mögliche Leihgaben. Für eine gute Unterbringung unseres Instrumentenbestands,wie natürlich auch der begleitenden Objekte — ob Bildleinwand oder historisches Geigenpult — sind möglichst gleichbleibende „Klimawerte“ eine Voraussetzung. Plötzliche Änderungen könnten schon einen Schaden in der Betrachtung oder auch im Klang zur Folge haben. Das versuche ich im Blick zu behalten.
Sie sprechen wie von Haustieren 😊…
Es geht nicht spurlos an einem vorbei, wenn man mit diesen Dingen so viele Jahre zusammen ist. Ich mag auch das Haptische, die Verbindung zu den Instrumenten. Ich merke es, wenn ich sie in die Hand nehme und das Gewicht spüre. Das macht mir viel Freude!
Sie haben eine sehr liebevolle Sprache.
Danke, ich sehe meine Aufgabe als Sammlungskonservator, als Bewahrer im besten Sinne mit den derzeitigen Möglichkeiten, die wir in unserem Haus haben.
Das Grassi Museum steht ja auf äußerst geschichtsträchtigem Boden. Sie arbeiten an einem romantischen Ort!
Es steht auf dem alten Johannisfriedhof, auf welchem Johann Sebastian Bach ursprünglich begraben wurde. Der Museumsbau wurde im Art-déco-Stil zwischen 1925 und 1929 errichtet. Mit seinen Innenhöfen ist er zugleich einen Ort der Ruhe und Entspannung. Seinen Namen verdankt das Haus dem Kaufmann und Mäzen Franz Dominic Grassi. Von Anfang an befinden sich in diesem Komplex die Angewandten Kunst, Völkerkundliche Sammlung und das Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig.
https://jsbach.de/bachorte/johannisfriedhof
Im Rasen vor dem Grassi-Museum ein markiert ein Rechteck die Umrisse der ehemaligen Bach-Gellert-Gruft und ein Kreis die Position des ehemaligen Bach-Grabes. An der steinernen Einfassung hat die Stadt Leipzig 2016 gegossene Bronzeplatten mit Informationen zur Geschichte von Johanniskirche und Spital, des Friedhofs sowie der Grabstätten Bachs und Gellerts anbringen lassen.
Sie haben ja außer Mandolinen auch noch viele andere Instrumente.
Der Rundgang unserer Ausstellung ist anhand einer zeitlichen Schiene und damit verbundenen Ereignissen gekoppelt, so können die Besucher in einem Raum viel über den italienischen Erfinder des Hammerklaviers Bartolomeo Cristofori erfahren und ein recht umfangreiches Oeuvre seiner Instrumente sehen.
Oder: ein fast 1:1 aufgebauter Werkstattraum von Richard Jacob, genannt „Weißgerber“. In der Vitrine nebenan freut sich so mancher Spieler über die Vielzahl der ausgestellten Instrumente. Auch wenn sie schon vom Augenschein her sehr wirksam sind, können wir leider bisher nichts von ihrer Leichtigkeit vermitteln. Schon ein Traum!
In unserer Studiensammlung zeigen wir Instrumente, sehr eng „gepackt“ beziehungsweise „geparkt“, hauptsächlich für Studienzwecke. Auch das ist der Sinn einer universitären Sammlung: Instrumententypen in der Entwicklung. Diese Sammlung ist aber leider zurzeit nicht frei zugänglich.
Was aber wieder kommen soll, ist unser Klanglabor. Dort können unsere Museumsgäste selbst auf Musikinstrumente wie in einem Labor experimentell musizieren.
Nun steigt die Neugier auf Ihre Mandolinen ins Unermessliche! Dürfen wir einige anschauen?
Wir haben etwa 60 Mandolinen! Ihre Leser können die meisten davon auf der Datenbank MIMO im Internet anschauen. Ich zeige Ihnen eine Auswahl, sozusagen kleine Schätze: Eine unsignierte Piccolo-Mandoline, eine originale Mandoline von Luigi Embergher und eine Lyramandoline von Raffaele Calace.
Unsignierte Piccolo-Mandoline aus dem 20. Jahrhundert, © Wieland Hecht
Manchmal müssen Sie sich ja auch mit der Identifizierung von recht merkwürdigen Instrumenten befassen. Ob dies wohl eine Mandoline ist?
Es ist eine Stössel-Laute, eine Konstruktion, welche Volkslieder auf einfache Art begleitbar machen sollte. Also leider keine richtige Mandoline!
Stössel-Lauten-Klasse in Steyr/Österreich, Aufnahme um 1930. Das Foto wurde in der Dezemberausgabe 1992 des Amtsblattes der Stadt Steyr veröffentlicht, woraufhin sich noch sechs der abgebildeten Spielerinnen meldeten, eine davon besitzt noch heute ihr Instrument und die Noten. (Nach Mitteilung von Rudolf Pietsch, Wien)
Mich bewegt noch die Frage nach der Geschichte der Mandoline von Niccolò Paganini. Er hat ja neben seinem Hauptinstrument, der Violine, auch Mandoline gespielt.
Originalfoto der Instrumente Paganinis
Carlo Aonzo, Mandolinist aus Genua, der sich besonders Paganinis Kompositionen und der Nachverfolgung seiner Instrumente annimmt, schreibt in seinem Aufsatz in PLECTRUM 1/94, dass die Mandoline 1898 auf der Ausstellung Esposizione Gernerale Italiana di Torino 1898 ausgestellt worden sei. In dem Aufsatz IL MANDOLINO GENOVESE bemerkt er, dass 1925 sich die Spuren verlieren auf dem Transport von Köln nach Leipzig. Kann man sie hier finden?
Leider nein. Es ist eine traurige Geschichte. Wir haben aber gut dokumentierte Angaben, dass die Mandoline in Leipzig angekommen ist.
Paganinis Mandoline, wie sie in den Akten des Museums dokumentiert ist
In den Kriegsjahren ab 1943 wurde sie zusammen mit anderen Instrumenten sorgfältig in Transportbehältnisse verpackt und in der Umgebung ausgelagert, um sie möglichen Schäden des Krieges zu bewahren. Leider haben die Wirren danach, selbst dort in manchen Lagerorten, unwiederbringliche Verluste und Schäden verursacht, sodass auch diese (berühmte) Mandoline nicht wieder in unsere Sammlung zurückkehren konnte. Ein s/w‑Foto aus der kurzen Leipziger Zeit, als letzter Zeuge ihrer Existenz. Sie ist nun wie ihre Musik, im nächsten Augenblick nur noch Erinnerung!
Vielen herzlichen Dank, lieber Herr Hecht, für Ihre Schilderungen! Ich möchte jetzt auch Kurator werden – ein so vielfältiger Beruf!