Die Befreiung der Mandoline — Corrado Giacomel,

Dr. Thilo Fitzner zu Besuch bei Corrado Giacomel, Instru­men­ten­bau­er in Genua

DIE BEFREIUNG DER MANDOLINE

CORRADO GIACOMEL, LIUTAIO 

Solche Instru­men­te kennt man in der Welt nicht. „In den USA habe ich heftige Kritiken bekommen: Weil man die Form ungewöhn­lich ist und man so etwas noch nie gesehen hat,“ erzählt Corrado Giacomel, Mando­li­nen­bau­er aus Genua. “Mando­li­nis­ten sind äußerst konser­va­tiv. Von den ganz berühm­ten­Klas­sik­spie­lern hat mich noch keiner besucht.“ Tatsäch­lich sind seine Instru­men­te, die er haupt­säch­lich auf dem nordame­ri­ka­ni­schen Markt verkauft, eine Heraus­for­de­rung! Von der Ästhetik und vom Preis. Sie kosten je nach Modell ob Mandoline, Mandola, Mando­cel­lo oder Jazzgi­tar­re 10.000.- bis 13.000.-$, während es lizen­zier­te Kopien für 3000.-€ bei Eastman gibt (Bericht über die Mando­li­nen- und Gitar­ren­fir­ma Eastman in Vorbe­rei­tung). Die „Locke“ einer Mandoline ist innen ausge­höhlt und hat keine funktio­na­le Bedeutung. Aber:„Die Ameri­ka­ner wollen das so.“ Ohne Locke kostet ein Instru­ment 2000.-$ weniger.

Corrado baut seine Mando­li­nen (und auch Gitarren) nach derArch­top-Methode: „Der Gitar­ren­typ ist amerikanisch,geht aber von einem italie­ni­schen Bausystem aus. Die tatsäch­li­che Form stammt von mir.“  Er leitet seine Bauweise einer­seits von Orville Gibson her, der 1902 die ‚Gibson Mandolin Guitar Manufac­tu­ring Company’ gründete, und anderer­seits vom Geigenbau mit Namen wie Amati, Stradi­va­ri und Guarneri.Von letzterem stammt die „Cannone“ von Nicolò Paganini. Das Verbin­den­de ist, dass man die Wölbung von Boden und Decke der Mandoline aus einem massiven Block heraus­ar­bei­tet – „aussticht“. Die Neapo­li­ta­ni­sche Mandoline hingegen hat eine ebene Decke mit einem Knick, um die Saiten­span­nung auszu­hal­ten und anstelle eines Bodens gibt es einen „Bauch“ aus Spänen (Doghe), wie zum Beispiel von Calace, Embergher, Vinaccia oder Pandini.

„Ob man das eine oder andere bevorzugt, ist eine kultu­rel­le Frage: Klassik­spie­ler werden immer die Bauchform bevor­zu­gen. Daneben gibt es auch noch bei dem Typ der neapo­li­ta­ni­schen Mandoline die Kultur von Mandoline, Wein und Gesang: „Alle Barbieri waren Mando­li­nis­ti oder Violi­nis­ti weil sie auf Kunden warten mussten,“ berichtet Corrado lachend. Oder wie Pasquale Taraffo (Gitarrist 1896 — 1936) und Luigi Embergher (1856–1943): „Die saßen in der Wirtschaft, zwei Liter Wein – und das war’s!“ Pasquale Taraffo 

„Die Archtops haben mehr Sustain und Projek­ti­on auf Distanz. Zwischen Mando­cel­lo und Gitarre gibt es eigent­lich keinen baulichen Unter­schied: Man muss nur die Saiten auswech­seln – sehr praktisch.“

Für wen sind dann Corrados Instru­men­te? Für Blues, Bluegrass oder Klassik? „Nein,“ betont Corrado, „für Folk bis Jazz.“ Er ist stark beein­flusst von David Grisman und seiner DAWG Musik (Grisman wurde nach einem streu­nen­den Hund DAWG genannt). Grisman vertreibt in den USA die Giacomel-Mando­li­nen, während sie in Europa kaum üblich sind. 

„Ich wollte wissen, wie mein Instru­ment gemacht ist. Viele Musiker sind nicht inter­es­siert zu wissen, warum welche Bauweise den klang wie beein­flusst.  Viele sind mit einem miesen Klang zufrieden. Für mich ist es unbegreif­lich, wie man musizie­ren kann, ohne zu wissen, wie der Klang entsteht“. 

Woher kommt die Ausrich­tung von Corrado Giacomel auf den USA-Markt? „Ich bin Innovator – aber kein Revolu­tio­när!“ Damit will Corrado betonen, dass er das Violinbau-Konzept absolut überzeu­gend fand, es jedoch in Italien weder eine damit verbun­de­ne Ausbil­dung für Mandoline gibt noch einen Markt.

„Seit dem 16.Jahrundert hat sich nichts im Mando­li­nen­baue verändert. Das ist doch schockie­rend!“ empört sich Corrado. Er war vor seiner Ausbil­dung zum Mando­li­nen­bau­er Gitarrist und spielte profes­sio­nell im Bereich von Folk, Jazz und Klezmer. Dann sattelte er um und besuchte die Geigen­bau­schu­le in Cremona. Um das dort gelernte Archtop-Prinzip auf die Mandoline zu übertra­gen, suchte er sich eigen­stän­dig Lehrer: John Monte­leo­ne aus New York oder den Austra­li­er Stephen Gilchrist. 

John Montelone

John Monte­leo­ne Natürlich kann Corrado jeden Typ von Mandoline bauen. Aber er will nicht! „An meinem Modell habe ich jahrelang entwi­ckelt, verschie­de­ne Neapo­li­ta­ner gefertigt und 23 Kopien von Gibson herge­stellt. Alle Oberton­fre­quen­zen habe ich Dank sorgfäl­ti­ger Messungen mit dem Frequenz­mes­ser voll im Griff, und dann kann ich alle Modelle mit geringer Abwei­chung konstruieren.

„Für mich ist Restau­rie­ren nicht inter­es­sant. Ich sage nicht, dass ich besser bin als die Tradition – nur anders.“ 

Alle Fotos in diesem Beitrag: Copyright Dr. Thilo Fitzner

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