Dorina Frati — La Grande Dame d’Italia

Dorina Frati — La Grande Dame d’Italia

Zupfer­ku­rier : Dorina, Du kommst viel in der Welt herum. Was sind in aller Kürze Deine prägenden Eindrücke im Hinblick auf die Musik?

In Japan gibt es einen wirtschaft­li­chen Abschwung, aber die Leute gehen noch in Konzerte. Es gibt sehr viele große und junge Orchester. Die Mitglie­der sind haupt­säch­lich Frauen aus der Mittel­schicht. In China spielt man mit dem Handy während des Konzerts, anderer­seits studieren sehr viele Chinesen bei uns in Italien und lieben die europäi­sche Musik. In den USA, im Nappa Valley, kommen gerne viele Teilneh­mer zu meinen Kursen, die nicht ganz jung sind: Sie inter­es­sie­ren sich sehr für Barock­mu­sik, kennen sie aber nicht, denn sie spielen vorrangig Blue Grass und Country, was mit sich bringt, dass sie ein sehr gutes Rhyth­mus­ge­fühl haben. Man pflegt eine ausge­spro­che­ne Lob-Kultur… 

ZK : Zu Deiner Pädagogik: Gibst Du vor, was ein Schüler lernen soll oder lässt Du ihn wählen?

Ich gebe zwei Stücke zur Auswahl (nicht zu weit von seinem Leistungs­stand entfernt), um seine Neugier anzusta­cheln. Wenn er zum Beispiel das Konzert für zwei Violinen von Bach spielen will, aber es vielleicht noch nicht richtig kann, dann empfehle ich den zweiten Satz zu üben und den dritten später. Musik ist wie Freeclim­ben: Man braucht einen Helm. 

ZK : Wie sind die Studi­en­si­tua­ti­on und die beruf­li­che Aussicht für Musikstudenten?

Studieren bringt notwendig Kosten mit sich. Wenn es aber kaum Chancen auf eine Stelle gibt, dann wollen die Eltern nicht finan­zie­ren – oder der junge Mensch geht ins Ausland. Mein Mann spielte seiner­zeit schon als Student in der Scala mit. Jetzt brauchst Du zwei Master­ti­tel, wirst zu drei Vorspie­len einge­la­den und dann gibt es maximal auf 13 Kandi­da­ten eine Stelle. Oder Du arbeitest als Unter­stüt­zungs­leh­rer im Rahmen der schuli­schen Inklusion. Viele wollen Rockstars werden und spielen auch Bach wie Rock – das ist im „Stil wie Bach“ aber nicht Bach. Da bin ich Puristin.

Zu Bach selbst: Ein Student von mir, Davide Ferella, hat in seiner Abschluss­ar­beit eine Geschich­te über Bach geschrie­ben und wie er zeitge­nös­si­schen Kompo­nis­ten fiktiv begegnet. Und außerdem hat er Transkrip­tio­nen für Mandoline angefer­tigt von den vier Bach-Cemba­lo­kon­zer­ten (Cemba­lo­kon­zer­te BWV 1052,1055,1059,1060). Das ist auch Bach. 

ZK : Du hast in verschie­de­nen Städten Italiens als Profes­so­rin unter­rich­tet. Gibt es da Einflüsse auf die Musik?

Ich habe in L’Aquila, Napoli, Padua unter­rich­tet und bin nun in Brescia. Hier bin ich am glück­lichs­ten, weil ich hier wohne und weil ich keine Zeit mit Reisen vertue. Wenn ich kurz meine Eindrücke darstelle, dann ist dies natürlich pauschal und ich stehe damit immer in der Gefahr, falsche Akzente zu setzen. Ich versuche es: In Napoli hat das „Conser­va­to­rio di San Pietro a Majella“ eine großar­ti­ge Tradition. Anderer­seits konnte ich die Studenten mit der Mandoline fast nicht hören, da im Nebenraum die Tuba und jede Menge anderer Instru­men­te dröhnten. L’Aquila ist sehr gepflegt. Man kann das Spielen an unter­schied­li­chen Orten so charak­te­ri­sie­ren: In Milano kommen die U‑Bahnen nach Fahrplan und fahren pünktlich ab. In Rom kommen die U‑Bahnen. In Milano leben mehr Psycho­lo­gen, Analysten, Menschen in ständiger Aktivität, dort gibt es mehr Methode, man schaut nicht nach dem Himmel oder trinkt einen Cafè. — In Napoli spielen Studenten viel auf Plätzen, in Bars und Restau­rants. Es gibt sogar Stille. Es geht mehr aristo­kra­tisch zu. Und die Tradition spielt eine Rolle: Der Opa oder der Papa spielt Mandoline und man musiziert gemeinsam. Hier in Brescia spielt man eher mit Freunden. 

ZK : Spielst Du im Stehen, was ja eine italie­ni­sche Beson­der­heit ist, oder mit Schemelchen?

Es gibt keine Schule, nach der alles korrekt ist: Ich sitze lieber beim Spielen und mag kein Schemel­chen mit mir tragen, da es unnötig Gewicht ist. Außerdem ist es, wenn ich in Konzert­klei­dung komme, nicht elegant. Sechs Minuten Vivaldi – das geht im Stehen, ansonsten ist es ermüdend. 

ZK : Dein Lehrer war ja Giuseppe Anedda, d e r Mando­li­nist schlechthin!

Ja, er war für mich d e r Lehrer! 1967 habe ich ihn zum ersten Mal mit sechs Jahren im Teatro Grande von Brescia erlebt. Er spielte ein Programm für Mandoline und Klavier – und ich schlief ein! Aber ich erinnere mich an eine hohe Person, welche die riesige Bühne füllte. Dann hörte ich ihn mit 10 auf CD, da wollte ich Herzchir­ur­gin für Kinder werden, meine Mama wusste nicht, wo sie mich hinste­cken sollte, und da hat sie mich mit meinem Bruder in die Gitar­ren­stun­de geschickt. Der Mann der Lehrerin war Mando­li­nist… und bald hat man mich auf das Conser­va­to­rio zu Padua zum Vorspiel bei Anedda gegeben. „Ich möchte Vivaldi für zwei Mandolini vorspie­len!“ Er lachte zwar, sagte aber: „Führe mir vor!“ Dann lachte er nicht mehr, und da sein Stunden­kon­tin­gent in Padua voll war, lud er mich ein, alle 14 Tage Sonntag früh nach Rom zu ihm privat zu kommen, wo ich immer mit der Mama hinfuhr. Er war ein guter Didak­ti­ker, hatte lange Hände, und hat nichts erklärt oder begründet, sondern sagte immer instink­tiv: „Das macht man so!“ Auf diese Weise habe ich alle möglichen Techniken erarbei­tet, die mir sehr helfen. Zum Beispiel viel und schnell and lange tremo­lie­ren ohne zu ermüden. Er kam regel­mä­ßig zu uns nach Brescia in unser Orchester für 7–8Jährige zu Besuch. Einmal spielte er als Solist den Csárdás von Vittorio Monti. Er verzau­ber­te die Kleinen, spornte sie zu Höchst­leis­tun­gen an und „trans­por­tier­te“ regel­recht seinen Enthu­si­as­mus. Das war m e i n Lehrer. 

ZK : Was macht es für einen Unter­schied, wenn Du im Sinfo­nie­or­ches­ter, in der Oper, im Kammer­or­ches­ter, im Duo oder solo spielst?

Ich habe mit Carlos Kleiber, Carlo Maria Giulini, Riccardo Muti, Lorin Maazel, Giuseppe Sinopoli, Zubin Mehta, Daniele Gatti, Riccardo Chailly, Daniel Barenboim u.a. gearbei­tet. Am meisten habe ich bei den Proben mit großen Dirigen­ten gelernt.

Zum Orchester. Carlos Kleiber war zum Beispiel eine originale Person im Hinblick auf musika­li­sche Ideen: So bemühte sich das Orchester um größt­mög­li­chen Zusam­men­klang. Logisch. Tk tk tk… — da stoppt er die Musiker und bittet sie, n i c h t alle zugleich zu spielen. Warum? Die Tragödie beginnt, eine Situation der Insta­bi­li­tät – ein großar­ti­ger Effekt. Oder Zubin Mehta: Er erklärte kaum etwas, dennoch sollte man nach seiner Idee spielen. Man hatte jedoch das Gefühl, man spiele nach eigener Idee. Und dies alles ohne zu reden. Bei Sinopoli war es so: Er nahm die Tempi sehr analy­tisch, aber er sprach viel zu viel. Während ich Barenboim schon nach zwei Sätzen verstan­den habe.

Ich bin seit 35 Jahren in der Scala tätig, dabei muss ich immer alleine einsetzen. Am Anfang sagten die Harfe und die Pauke zu mir: „Sollen wir Dir den Takt vorzählen?“ Dies fragten sie, weil vor 40 Jahren die Mando­li­nis­ten Analpha­be­ten waren und keine Noten kannten. Ich antwor­te­te: „Ich bin kein Mando­li­nist – ich bin Dorina!“ Und so akzep­tie­ren sie mich mit Würde.

Zum Kammer­or­ches­ter. Da bist du immer Solist (mit der Mandoline). Das Orchester begleitet den Solisten und versteht sofort dessen Intention. Man kann aber keinen ganzen Abend mit Mandoline bestrei­ten. Unsere Musik ist vorrangig barock oder Mozart. Das ist graziös, nicht tragisch. Da fehlt für den Abend etwas, wie bei einem Buffet, was sich auch aus unter­schied­li­chen Speisen zusammensetzt. 

Zum Duo. Da begleitet nicht die Gitarre die Mando­li­nen­spie­le­rin, sondern sie con-zertieren. Ich spiele haupt­säch­lich mit Piera Dadomo. Da muss man keine Notizen in die Noten machen. Wir verstehen uns auch so. Da wir kaum Origi­nal­mu­sik haben, suchen wir uns Stücke von guten Kompo­nis­ten aus und transkri­bie­ren sie, das ist wie in einem Labora­to­ri­um. Zum Beispiel haben wir Franz Schubert bearbei­tet, die Arpeg­gio­ne-Sonata D.821. Ein großar­ti­ges Werk und ein Vergnügen für Mandoline und Gitarre. 

/bil

Zum Solo. Nur in Wuhan habe ich solo gespielt bei der Zugabe. Generell aber finde ich Solo Mandoline ermüdend für Zuhörer und Spieler. Schöner finde ich Programme mit Mandoline statt für Mandoline.

ZK : Und wie geht es Deinen Schülern?

Meine Schüler spielen im ORCHESTRA GIOVANILE LUIGI CHERUBINI unter seinem Gründer Riccardo Muti und anderen wichtigen Dirigen­ten, einem U30 Orchester. Drei von ihnen spielen im Teatro La Fenice in Venedig. Man muss Erfah­run­gen sammeln. In der Unter­richts­klas­se kann man keine Erfah­run­gen sammeln. Da sagt man : „ Ich bin gut!“ …und täuscht sich.

Wenn wir auf die nächsten 10 Jahre schauen, dann wird es Arbeit für alle geben. Wenn man sich schlecht fühlt, dann ist man nicht glücklich. Wenn man eine positive Einstel­lung hat, dann wird man glücklich.

ZK : Vielen herzli­chen Dank, liebe Dorina !

  Fotos in diesem Beitrag: Copyright Dr. Thilo Fitzner oder Dorina Frati

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