Ich will keine Coronade! — Der Mandolinenclub Schwaikheim bleibt im Spiel
Am Freitag, den 13. März fand die letzte reguläre Probe des Mandolinenorchesters statt, danach traten Schlag auf Schlag einschneidende Maßnahmen in Kraft, das Vereinsleben wurde auch hier auf Null heruntergefahren. Das Frühlingskonzert wurde auf Spätsommer verschoben, Proben waren nicht mehr durchführbar. Die Spieler vermissten das gemeinsame Üben, den Zusammenklang ihrer Instrumente und die Geselligkeit im Vereinsheim. Um Finger und Saiten nicht ganz einrosten zu lassen, baten Spieler ihren Dirigenten um eine Aufnahme, mit der sie ihre Einzelstimmen üben wollten. Dem kamen Utz Grimminger und seine Frau Thekla Mattischeck prompt nach mit einer Aufnahme des alten Schlagers „Ich will keine Schokolade“ und setzten noch einen Vorschlag darauf: Die Spieler sollten ihre Stimmen aufnehmen und schicken, damit sie Utz im Homeoffice zusammenfügt – zu einem „Corona-Orchester“ sozusagen. Damit begann ein Projekt, dessen Ergebnis zu Beginn noch niemand ahnte. Es sei im Folgenden beschrieben.
Ich will keine Coronade! — Der Mandolinenclub Schwaikheim bleibt im Spiel Am Freitag, den 13. März fand die letzte reguläre Probe des Mandolinenorchesters statt, danach traten Schlag auf Schlag einschneidende Maßnahmen in Kraft, das Vereinsleben wurde auch hier auf Null heruntergefahren. Das Frühlingskonzert wurde auf Spätsommer verschoben, Proben waren nicht mehr durchführbar. Die Spieler vermissten das gemeinsame Üben, den Zusammenklang ihrer Instrumente und die Geselligkeit im Vereinsheim. Um Finger und Saiten nicht ganz einrosten zu lassen, baten Spieler ihren Dirigenten um eine Aufnahme, mit der sie ihre Einzelstimmen üben wollten. Dem kamen Utz Grimminger und seine Frau Thekla Mattischeck prompt nach mit einer Aufnahme des alten Schlagers „Ich will keine Schokolade“ und setzten noch einen Vorschlag darauf: Die Spieler sollten ihre Stimmen aufnehmen und schicken, damit sie Utz im Homeoffice zusammenfügt – zu einem „Corona-Orchester“ sozusagen. Damit begann ein Projekt, dessen Ergebnis zu Beginn noch niemand ahnte. Es sei im Folgenden beschrieben. Frühlingskonzert Die ersten Aufnahmen In einer ersten Mail hatte der Dirigent lapidar knappe Anweisungen gegeben, wie die Aufnahmen gemacht werden sollten:
„1. Setzt Euch einen Kopfhörer auf (damit man unsere Aufnahme bei Eurer Aufnahme nicht hört) und spielt zu unserer Aufnahme dazu. 2. Nehmt Euch irgendwie auf — Aufnahmegerät, Handy, Tablet, PC… 3. Schickt mir die Aufnahme per E‑Mail.“
Die ersten Aufnahmen kamen nur zögerlich an, etliche Spieler berichteten von Problemen mit den Aufnahmen: Abspielen und Aufnehmen auf einem Gerät wollte nicht funktionieren, das Playback startete zu schnell, bevor man bereit war, man hörte sich selber durch die Kopfhörer nicht spielen… Eine zweite, etwas ausführlichere Mail half da etwas:
„1. Ihr braucht zwei Geräte, eines zum Abspielen, eins zum Aufnehmen. Mit einem einzigen Gerät geht es bei richtiger Aufnahmestudio-Ausstattung. 2. Reihenfolge: Zuerst Aufnahme einschalten, dann Playback. Die Stille am Anfang ist unproblematisch, die krieg ich in null komma nix weg. 3. Zeitlich kritisch ist: Playback einschalten und nach “nur” einem Takt vorzählen losspielen. Es gibt drei Lösungsansätze: 3.1 Halt einfach schnell sein. 3.2 Die ersten paar Takte auslassen und z.B. erst bei der Wiederholung anfangen. Das dann aber mir bitte dazu schreiben, damit ich es richtig hin ziehen kann. 3.3 Hilfspersonal verwenden. Es nimmt enorm Stress aus der Sache wenn Ihr jemanden habt, der für Euch auf’s Playback-Knöpfchen drückt. Allerdings muss das Hilfspersonal dann 2 Minuten komplett still sein, das ist auch nicht immer leicht. 4. Das Problem mit den Kopfhörern. Wer geschlossene Kopfhörer verwendet, hört sich selber kaum noch, das ist mindestens ungewohnt. Im professionellen Umfeld wird das so gemacht, dass das eigene Instrument mit auf den Kopfhörer gelegt wird, dann hört man sich selber. Das können wir nicht machen. Lösungsmöglichkeiten: 4.1 Halboffene Kopfhörer oder Ear-Plugs (Stöpsel) verwenden, da hört man was. Ggf. mal einfach alles ausprobieren, was sich im Haushalt an Kopfhörern findet. 4.2 Kopfhörer nur auf ein Ohr, das andere frei lassen. “ Aus Einzelaufnahmen entsteht ein Orchester Zusammengefügt wurden die Einzelaufnahmen (von denen die meisten mit der Diktiergerät-Funktion von Smartphones gemacht worden waren) vom Dirigenten ganz ähnlich, wie das auch in einem Tonstudio funktioniert: Entsprechende Software erlaubt es nicht nur, die einzelnen Aufnahmen gleichzeitig laufen zu lassen, sondern auch, sie rhythmisch passgenau zu platzieren, die Lautstärke anzupassen, die Instrumente entsprechend der Orchestersitzordnung im Stereobild anzuordnen und das Ergebnis mit Equalizing und Hall abzurunden. Solche Software gibt es in teuren Profiversionen, aber auch kostenlos (z.B. Audacity) oder für wenig Geld (z.B. Magix Music Maker); letztere wurde hier verwendet.
Zuerst waren „nur“ Aufnahmen von Bass und Gitarren eingetroffen. Ob das die Mandolinen und Mandolen auf sich sitzen lassen wollten?, fragte der Dirigent per Mail, und forderte zu einer Aufholjagd auf. Jetzt entwickelte sich trotz Distanz der Spieler eine dynamische Situation, die Spielführer Utz in nächtlichen E‑Mails zusammenfügte und mit einem witzigen Spielbericht versah. Der Mandolinenclub befand sich plötzlich in einem „Geisterspiel“ MC Gitarre gegen Frischauf Mandoline, Aufnahmen, Ideen und Kommentare flogen hin und her, der Spaß steckte einen nach der anderen an. Frischauf Mandoline holte bald auf, ging sogar in Führung, letztlich konnte MC Gitarre aber wieder ausgleichen, und so endete das Match unentschieden, als der Dirigent mit einem beherzten „Aus! Aus! Das Spiel ist aus!“ abpfiff. So sieht das Home-Office des Dirigenten aus Ein Video entsteht Bereits in der Endphase des Geisterspiels stellten viele fest: „Das klingt ja besser als wir gedacht hätten“. Und es kam die Frage auf: „Wollen wir das nicht unserem Publikum präsentieren, als kleinen Ersatz für‘s ausgefallene Konzert?“ Als Antwort kristallisierte sich schnell ein „Ja“ heraus – aber wie? YouTube war die naheliegendste Lösung, aber dafür brauchte man ein Video. Es lagen aber nur Tonaufnahmen vor, niemand hatte damit gerechnet, dass das Ergebnis mal auf YouTube gestellt werden könnte. Was tun? Ein erster Vorschlag sah lediglich vor, die Geschichte der Entstehung der Aufnahme auf Texttafeln einzublenden, was aber optisch nicht besonders attraktiv war. Also wurde Bildmaterial gesammelt: Das Plakat des abgesagten Konzerts, eine Ankündigung des (hoffentlich) im Herbst stattfindenden nächsten Konzerts und ähnliches mehr, vor allem aber: Fotos, die die Spielerinnen und Spieler von sich machten. Erzählt werden sollte der „Spielverlauf“ des erwähnten „Geisterspiels“, aber auch, wie es zur der Aufnahme kam. Letztlich zu viel Material für die knappen 2 Minuten Musik, aber auch dafür wurde eine Lösung gefunden: Die „Vorgeschichte“ wurde vorgelesen, das „Geisterspiel“ wurde in Texttafeln über dem eigentlichen Stück erzählt.
Da sowie keine bewegten Bilder, sondern „nur“ Fotos, stehende Grafiken und Texttafeln zur Verfügung standen, musste zur Erstellung des Videos keine Videoschnittsoftware verwendet werden. Statt dessen genügte Software zum Erstellen von Slideshows (das entspricht etwa dem, was man von früher als Diapräsentation kannte). Die Mandolinenspielerin Gabi Stas wurde zur Regisseurin und verwendete ein Freeware-Programm namens „Slideshow Creator“, das sie bereits längere Zeit zum Erstellen solcher Präsentationen nutzte.
Mittlerweile hatten sich auch jenseits des „Tonmeisters“ und der „Regisseurin“ weitere Aufgaben ergeben, die über das eigentliche Musizieren hinaus gingen und für die sich innerhalb des Orchesters Leute fanden. Es können nicht alle aufgezählt werden, aber zwei seien exemplarisch erwähnt: Manfred Rothfuß war zur Stelle, wenn ein Text benötigt wurde, und Frieder Uhlenbrock kannte sich mit YouTube aus. Er besorgte dann den letzten, aber entscheidenden Schritt: Einrichten eines Accounts und eines Kanals sowie Hochladen des Videos. Genau sieben Wochen nach der letzten Probe, nach der Absage des Konzerts, der pandemiebedingten Einstellung des Probenbetriebs und damit verbundenem scheinbaren Stillstand auf unbestimmte Zeit war das erste Video des altehrwürdigen Mandolinenclubs, der nächstes Jahr hundertjähriges Jubiläum feiern will, online – und das ganz ohne vorherige Planung, einfach aus einem „wir schauen mal, was wir in dieser Zeit machen können“ entstanden. So sieht das Home-Office der Regisseurin aus Die zweite Runde Schnell war klar, dass das Projekt nach einer Fortsetzung verlangte. Für die erste Aufnahme war ein Stück genommen worden, dass beim anstehenden Konzert hätte aufgeführt werden sollen und daher (fast) fertig geprobt war. Aber geht das auch mit einem Stück, dass noch nie im Orchester gespielt worden war und damit für alle Neuland ist? Das probieren wir doch einfach mal aus! Man könnte ja was ganz leichtes nehmen… Dirigent Utz Grimminger fand einen klassischen brasilianischen Samba namens „A Banda“ (bei uns besser bekannt unter dem deutschen Text „Zwei Apfelsinen im Haar“) als ausreichend einfach dafür. In schon bewährter Weise spielten er und seine Frau Thekla Mattischeck 1. Mandoline und Gitarre ein. Aber wie sollten speziell die Mittelstimmen, also 2. Mandoline und Mandola, wissen, wie ihre Stimme dazu klingen sollte? Dafür musste eine neue Übemethode her…
Neue Übemethoden
Ein Notendruckprogramm wurde „missbraucht“, um spezielle Übeaufnahmen für die 2. Mandoline und Mandola herzustellen, und das ging so: Man stelle die 2. Mandoline auf forte, Gitarre und Bass auf piano und alle anderen Stimmen auf stumm („mute“), lasse das Ganze vom Notendruckprogramm abspielen und nehme es über die Soundkarte als MP3 auf (bei einem Windows-Rechner erfordert es allerdings etwas Fummelei, bis die Option der Soundkarten-Aufnahme aktiviert ist; hochwertigere Notendruckprogramme als das hier verwendete erlauben oft allerdings einen direkten Export als Sound-Datei) – fertig ist die Übe-Aufnahme für die 2. Mandoline, für die Mandola funktioniert es entsprechend.
Als weitere Hürde erwies sich, dass die Basis-Aufnahme mit 1. Mandoline und Gitarre natürlich im Endtempo aufgenommen worden war – zu schnell, um gleich mitspielen zu können. Also war eine langsamere Version vonnöten. Die wurde nicht etwa neu aufgenommen, sondern durch das Audiobearbeitungsprogramm erstellt.
Auch einfachere Audiobearbeitungsprogramme wie das hier verwendete „Magix Music Maker“ bringen üblicherweise eine Pitch- und Timeshift-Funktion mit. Unter „Pitching“ versteht man das Ändern der Tonhöhe, ohne dass sich das Tempo ändert, unter „Timeshifting“ das Ändern des Tempos, ohne dass sich die Tonhöhe ändert. Mit „Timeshifting“ wurde die Basis-Aufnahme um etwa 20% eingebremst, was zwar Einbußen in der Klangqualität mit sich bringt, für eine Übeaufnahme aber ausreichend ist. (Wer im übrigen selber eine solche Software hat, kann sich eine Aufnahme selber individuell auf das gewünschte Tempo bremsen) Mal wieder mit „alten Freunden“ spielen Nachdem das Orchester bei der ersten Aufnahme festgestellt hatte, dass man auch zusammen musizieren kann, ohne im selben Raum zu sein, dachte man bei der zweiten Runde an Spielerinnen und Spieler, die früher mitgespielt hatten und aus dem ein oder anderen Grund nicht mehr mitspielen konnten. Zwei ehemalige Spielerinnen – die eine wegen Erziehungsurlaub längere Zeit nicht mehr dabei, die andere wegen Umzug dauerhaft nicht mehr – beteiligten sich zur Freude aller an „A Banda“. Wer hätte vor einigen Wochen noch daran gedacht, dass Corona es uns ermöglichen würde, mal wieder mit „alten Freunden“ zusammen zu musizieren…
Das Orchester experimentiert
Bereits bei der „Schokolade“ waren Aufnahmen von Instrumenten eingetroffen, die überhaupt nicht in der Partitur standen: Oktav-Gitarre, Ukulele und Kalimba. Bei der zweiten Runde waren diese Instrumente auch wieder dabei, aber die Experimentierfreude war noch viel größer: Spielerinnen und Spieler bastelten sich zudem Stimmen für Akkordeon, Okarina und Shaker zusammen, sodass das Mandolinenorchester bei „A Banda“ einen sehr bunten, vielfältigen Klang bekam. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels ist übrigens die Produktion des Videos dazu in vollem Gange, die unter – so viel kann verraten werden – Einsatz einer großen, gesunden Portion Obst zu Stande kommt…
Fazit Ganz klar: Gemeinsam „real“ in einem Raum zu musizieren ist etwas ganz anderes. Und obwohl viele großen Spaß daran hatten, mit diesem Projekt die „Corona-Ferien“ zu überbrücken, haben sich doch nicht alle Spielerinnen und Spieler an dem Projekt beteiligt. Einige hatten vielleicht nicht die nötige Technik, andere kam möglicherweise mit der Aufnahmesituation nicht zurecht, wieder andere hatte womöglich einfach keine Lust. Einige beteiligten sich auch „nur“ mit Bildmaterial. Insgesamt kann das Projekt aber als wohl mit Fug und Recht als erfolgreiche Maßnahme betrachtet werden, auch in „Corona-Zeiten“ weiter irgendwie zusammen zu musizieren. Und: Man hat sich vorgenommen, den jetzt vorhandenen YouTube-Kanal auch nach der Zwangspause weiter mit Inhalt zu befüllen… Der Mandolinenclub geht ganz neue digitale Wege – und bleibt am Ball!
Anschauen
Die erwähnten Videos kann man auf dem YouTube-Kanal des Mandolinenclub Schwaikheim oder über Links auf der Vereinshomepage ansehen:
Manfred Rothfuß & Utz Grimminger Ich will keine Coronade — Video Mandolinenclub Schwaikheim